Bildungspartnerschaft im Kontext von Migration: Warum Eltern für den Bildungserfolg unverzichtbar sind
Wenn Pädagog:innen und alle, die mit Kindern arbeiten, betonen, das Kind stehe im Mittelpunkt didaktischer Maßnahmen, so reicht es nicht, es nur als Individuum zu betrachten. Unverzichtbar und mitentscheidend für einen gelingenden Bildungsgang ist die Berücksichtigung und Beteiligung des familiären Kontextes – und damit die der Eltern als Bildungspartner. Doch warum sollten Eltern aktiv in die pädagogische Arbeit eingebunden werden? Was bringt ihre Sichtbarkeit in der Schule? Und welchen Mehrwert hat das für die Einrichtung?
Ein Beitrag von Mag.a Zwetelina Ortega
Einblick in die familiäre Lebenswelt
Um Kinder wirklich zu verstehen und ihr Verhalten richtig zu deuten, braucht es den Einblick ins Familienleben. Die Geschichte, Erlebnisse und Erfahrungen der Familie prägen die kindliche Entwicklung maßgeblich. Bildungspartnerschaft heißt, die Lebenswelt des Kindes kennenzulernen – denn Kinder lernen in unterschiedlichen Kontexten verschiedene Dinge.
Ich erinnere mich noch sehr gut daran, wie ich als etwa zehnjährige Schülerin bei einer Freundin übernachtete. Erstaunt stellte ich fest, dass die Kinder in Österreich anscheinend die Nachspeise vor dem Abendessen bekommen. Das gefiel mir, bis zu dem Moment, als ich merkte, dass der Griesbrei mit Kakao das Abendessen selbst war. Solche kulturellen Missverständnisse zeigen: Sozialisation ist ein lebenslanger, vielschichtiger Prozess.
Gesellschaftliche Teilhabe
Eltern auf Augenhöhe zu begegnen, schafft Vertrauen und erleichtert die pädagogische Arbeit. Wer auf Eltern eingeht, kann ihre Ängste und Fragen besser verstehen, sie frühzeitig auf Herausforderungen hinweisen – oder auch unnötigen Druck von ihnen nehmen. Augenhöhe bedeutet, ohne Bewertung oder Vorurteile zu kommunizieren. Aussagen wie „Nach zehn Jahren in Österreich können die immer noch kein Deutsch.“ oder „Typisch für Eltern aus diesem Land.“, zeigen eine innere Haltung, die das Ende einer Bildungspartnerschaft bedeutet, noch bevor sie angefangen hat.
Schule und Kindergarten können einen wesentlichen Beitrag zur Integration der Familie und des Kindes in die Aufnahmegesellschaft leisten. Die Beteiligung der Eltern ist dabei nicht nur aus pädagogischer Sicht wichtig, sondern auch aus sozialer. Sie bedeutet mehr gesellschaftliche Teilhabe für die Eltern und später für das Kind, und somit bessere Chancen für seinen gesamten Lebensweg.
Bildung beginnt mit der Geburt und die Eltern sind die ersten Bezugspersonen ihres Kindes, somit sind sie zumindest eine Zeitlang, unabhängig vom Grad ihrer Einbindung, die einflussreichsten Partner:innen in jeder Bildungseinrichtung.
Wertschätzung, Sichtbarkeit und Anerkennung
Wie kann der Zugang zu Eltern mit Migrationsgeschichte gelingen? Vor allem, indem man wertschätzt, was diese Menschen an Wissen und Können mitbringen und an ihre Kinder weitergeben. Es ist nichts damit gewonnen, die Familiensprache und die Herkunftskultur der Familien zu stigmatisieren. Dadurch wird weder das Kind besser Deutsch lernen, noch wird die Familie sich schneller in der Aufnahmegesellschaft zurechtfinden. Andersherum kann das Sichtbarmachen der Herkunftskultur eine großartige Chance und ein Gewinn für alle sein.
An dieser Stelle möchte ich aus der Perspektive der Mutter ein Praxisbeispiel einbringen. Die Volksschullehrerin meiner Tochter hatte alle Eltern eingeladen, ihr Herkunftsland vorzustellen. Die Kinder hatten sich mit der Lehrerin vorab auf den Besuch vorbereitet, wussten schon das eine oder andere über das jeweilige Land und hatten sogar Fragen vorbereitet. Jede Familie stellte ihr Land anders vor. Manche erzählten über die Schule und das Kindsein, andere über Erfindungen, wieder andere über Gesellschaft und Politik. Jedes Mal kam meine Tochter begeistert nach Hause und erzählte, was sie alles gelernt hatte. Damit war der Lehrerin alles gelungen, sie hatte die Eltern erreicht, Sichtbarkeit, Vertrauen und Wertschätzung geschaffen.
Voraussetzung für jede menschliche Begegnung auf Augenhöhe, sei es mit den Eltern oder mit den Kindern, ist eine wertschätzende und respektvolle Haltung.
Neulich hatte meine Tochter ein wichtiges Aufnahmegespräch an einer Höheren Schule für den Wechsel in die dortige Oberstufe. Nach dem Gespräch kam die Schuldirektorin zu mir und gratulierte mir dazu, dass ich dafür gesorgt hatte, dass meine Tochter den Erstsprachenunterricht besucht hat. Sie war sichtlich davon angetan, dass sie ihre Familiensprache Bulgarisch nicht nur im informellen Kotext spricht, sondern auch Fernsehnachrichten folgen, Bücher lesen und schreiben kann. Sie beherrscht also nicht nur mehre Sprachen, sondern auch mehrere Alphabete.
Es wäre wünschenswert, wenn Eltern von Seiten der Schule öfter Anerkennung für ihre Mehrsprachigkeit bekämen - vor allem dann, wenn es sich um gesellschaftlich vermeintlich nicht prestigereiche Sprachen handelt.
Eine vorurteilsfreie Kommunikation
Die Zusammenarbeit mit Eltern erfordert ein Bewusstsein für bestehende Hierarchien und Überlegenheitsstrukturen sowie aktives Entgegenwirken. Menschen, die die deutsche Sprache noch nicht sicher beherrschen, sind benachteiligt. Es ist wichtig, dies nicht durch Vorwürfe oder unbegründete Vermutungen zu verstärken, sondern unterstützend und aufbauend zu handeln.
Wie gelingt es, dass Eltern Beratung und die Angebote der Bildungsinstitutionen annehmen?
Indem bedarfsgerechte und niederschwellige Angebote für Familien geschaffen werden, die Türen für eine gelungene Partnerschaft öffnen. Zahlreiche Bildungseinrichtungen zeigen uns mit Best-Practice-Beispielen, wie dies gelingen kann.
Dabei agieren diese nicht punktuell, sondern mit gut durchdachten Gesamtkonzepten und Leitbildern, die von Kontinuität, Transparenz und Authentizität geprägt sind. Wer also auf eine gute Bildungspartnerschaft setzen will, muss diese langfristig anlegen, damit sie gelingt. So wie die vorab genannte Volksschule meiner Tochter, in der die Aktivität der Lehrerin in ein Gesamtleitbild der Schule eingebettet ist.
Was Lehrkräfte aber auch brauchen, sind bessere Rahmenbedingungen, um eine gute Bildungspartnerschaft umzusetzen. Dabei haben sich unterstützende Strukturen wie Sozialarbeiter:innen, interkulturelle Fachkräfte oder Integrationsbeauftrage bewährt. Diese Angebote sollten flächendeckender ausgebaut werden, um Schulen in ihren Bemühungen zu unterstützen.
Als Beraterin, Coach und Expertin für Mehrsprachigkeit bin ich in zahlreiche solche Prozesse involviert, aber besonders spannend für mich ist meine Rolle als Mutter, die mir einen erweiterten Einblick in unser Bildungssystem gewährt. Und mit diesem gedoppelten Blick kann ich sagen, dass Eltern mit Migrationsgeschichte zu oft abgewertet und grundlos als am Bildungsweg ihrer Kinder desinteressiert stigmatisiert werden.
In meiner Arbeit in der Elternberatung begegne ich Familien aus unterschiedlichsten gesellschaftlichen Schichten. Sie alle wollen das Beste für ihr Kind und nehmen Hilfestellungen gerne an. Manche von ihnen wissen genau, wie diese Unterstützung aussehen muss, andere sind anfangs ratlos, aber wie alle dankbar, wenn man sie ihnen zukommen lässt.
Und noch etwas beobachte ich. Wenn ich Eltern respektvoll und offen begegne, lassen sie ihre Hemmungen beim Sprechen rasch fallen und wir brauchen oft keine:n Dolmetscher:in mehr. Wir verstehen uns ganz ohne Hände und Füße, einfach mit Worten und mit Vertrauen.
Sprache braucht Vertrauen, um zu gedeihen, beim Kind wie beim Erwachsenen. Jeder Mensch findet sich, unabhängig von seinem Alter, in einem unbekannten Kontext besser zurecht, wenn er sich willkommen und angenommen fühlt.
Zwetelina Ortega ist Inhaberin der LIMU-Academy, des Sprachinstituts zur Frühförderung der deutschen Sprache für Kinder zwischen zwei und zehn Jahren.
Sie ist Sprachwissenschaftlerin, Autorin, Expertin für Mehrsprachigkeit und Gründerin des Beratungszentrums Linguamulti. Dort bietet sie Beratung und Workshops für mehrsprachige Erziehung im Bereich Bildung, Erziehung und Unternehmertum an. Darüber hinaus lehrt Ortega an diversen Hochschulen in Österreich und Deutschland und lehrte an der Universität Wien. Ortega ist dreisprachig mit Bulgarisch, Spanisch und Deutsch aufgewachsen. In diesen drei Sprachen verfasst sie auch ihre literarischen Texte (2022 Kinderbuch „Die Umami Bande“ (Amiguitos Verlag), 2012 Gedichtband "Aз und tú" (Edition Yara). 2024 wurde sie mit dem Kulturpreis „Mini-METRON“ ausgezeichnet. Im Online-Standard hat sie ihren eigenen Blog: Linguamulti.